Wirtschaftsliberalismus und der Staat: Dismantling the Myth of Naïve Laissez-Faire
ABSTRACT
Der Artikel bietet eine Kritik des vorherrschenden Verständnisses der Beziehung zwischen Neoliberalismus und dem klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts in der zeitgenössischen internationalen politischen Ökonomie (IPE) und bietet eine Neudefinition, die von Polanyi und Gramsci inspiriert ist. Innerhalb der kritischen IPE-Studien hat sich ein Konsens darüber herausgebildet, dass der Neoliberalismus nicht einfach auf den Versuch reduziert werden kann, die Wirtschaft zurückzudrängen und den Kräften des freien Marktes freien Lauf zu lassen. Diese Einsicht beruht jedoch auf der Gegenüberstellung des Neoliberalismus mit einem klassischen Liberalismus, d.h. einem einfachen Versuch, genau diese naive Laissez-faire-Ideologie umzusetzen. Im Gegensatz dazu wird in diesem Artikel argumentiert, dass der Liberalismus des 19. Jahrhunderts auch durch eine aktive Nutzung der staatlichen und legislativen Macht gekennzeichnet ist. Anhand einer historischen Studie zweier Fälle aus dem Großbritannien des 19. Jahrhunderts, der Poor Law Reform und des Goldstandards, wird argumentiert, dass staatliches Handeln selbst in der Blütezeit des Laissez-faire-Liberalismus eine zentrale Rolle spielte. Ausgehend von Polanyis Diktum, dass „Laissez-faire geplant war“, wird diese erneute Untersuchung auf die Notwendigkeit hinweisen, ein differenzierteres Verständnis der Unterscheidungen zwischen Wirtschaftstheorie, Ideologie und praktischer Politik zu entwickeln, sowie auf eine allgemeine Neuinterpretation der Rolle des Staates in der liberalen Wirtschaftsideologie hinweisen.